Das Schmerzensgeld bei Regulierungsverzögerungen
Trotz klarer Verschuldensfrage verweigern die Versicherungen häufig die Entschädigung des Geschädigten oder zögern diese lange hinaus. Die Gerichte haben deshalb begonnen, bei ungerechtfertiger Verweigerung oder Verzögerung, die Schmerzensgeldzahlung zu erhöhen. Damit sollen die Haftpflichtversicherungen gezwungen werden, in eindeutigen Haftungsfällen schnell und angemessen zu entschädigen.
Im deutschen Schadenersatz spielt das Schmerzensgeld eine große Rolle. Obwohl es größere Schadenspositionen geben kann (etwa Verdienstausfälle) und die Höhe des Schmerzensgeldes im Vergleich zu Zahlungen nach der US-amerikanischen Rechtsprechung häufig geradezu lächerlich gering wirken, wird vor den deutschen Gerichten heftig um die Höhe gestritten. Gerade weil die Bemessung im Einzelfall auch für die Richter sehr schwierig ist, sucht man häufig nach „Präzedenzfällen“, die zur Begründung oder zur Abwehr der geforderten Summe herangezogen werden können. Einen besonderen Fall bildet dabei die verzögerte oder verweigerte Regulierung von Schadenersatzansprüchen durch den Haftpflichtversicherer des Schädigers. Die Rechtsprechung ist dazu übergegangen, in diesen Fällen den Schmerzensgeldanspruch zum Teil deutlich zu erhöhen.
1. Rechtsgrundlage Das Schmerzensgeld findet seine Rechtsgrundlage in § 253 Abs. 2 BGB. Danach kann für Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung eine „billige Entschädigung“ gefordert werden: der immaterielle Schadenersatz oder auch das Schmerzensgeld genannt.
2. Das Schmerzensgeld: Mehr als nur Ausgleich für körperliche Leiden Das Schmerzensgeld ist als Ausgleich für die erlittenen und noch bestehenden Schmerzen und Leiden, die physischen und psychischen Belastungen durch die Krankheit oder den Unfall und deren beziehungsweise dessen Behandlung, sowie den Verlust der Lebensfreude aufgrund der dauerhaften Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes zu verstehen. Die Höhe ist, nach dem Wortlaut der Norm, im Wege der Billigkeit zu bemessen. In die Berechnung sind Art und Umfang der Körper- und Gesundheitsschädigung, die Dauer der stationären und ambulanten Therapien, die andauernde und künftig erforderliche Nachsorge sowie die bleibenden Einschränkungen im alltäglichen Leben einzubeziehen. Der Anspruch erfüllt eine doppelte Funktion. Er ist zum einen Ausgleich für die Beeinträchtigungen und zum anderen Genugtuung für das, was dem Opfer durch den Schädiger angetan wurde (BGH, 29.11.1994; OLG Nürnberg, 24.06.2005). Diese Genugtuungsfunktion ist auch vor dem Hintergrund der letzten Gesetzesänderungen nicht weggefallen. Das Schmerzensgeld soll es dem Geschädigten zudem ermöglichen, durch Erleichterungen und Annehmlichkeiten zumindest teilweise die erlittenen und bestehenden Beeinträchtigungen auszugleichen. Insofern liegt im Schmerzensgeld eine Ausgleichsfunktion. Diese berücksichtigt neben Dauerschäden auch seelisch bedingte Folgeschäden und soziale Belastungen. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat in einer Grundsatzentscheidung zur Vorgängerregelung des § 847 BGB die Funktion und den Inhalt des Schmerzensgeldes konkretisiert. Maßstab für die Bemessung der Höhe eines Schmerzensgeldes ist danach zuvorderst die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung (BGH, 06.07.1955). Alle sonstigen Umstände fließen gleichsam im Wege einer Gesamtbetrachtung anhand des Einzelfalls mit ein.
3. Erhöhung bei Verzögerung durch den Versicherer Über diese Funktionen hinaus billigen die Gerichte aber eine Erhöhung des Schmerzensgeldes zu, wenn der hinter dem Schädiger stehende Versicherer die Leistung von Schadenersatz verzögert oder sogar vollständig ablehnt, obwohl bei „verständiglebensnaher, objektiver Betrachtungsweise“ von einer Zahlungspflicht ausgegangen werden kann (so etwa: OLG München, 09.10.2009; OLG Frankfurt, 07.01.1999; OLG Nürnberg, 11.07.1995; LG Gera 06.05.2009; LG Berlin, 06.12.2005). Vereinzelt wurde sogar entschieden, dass die Einlegung eines aussichtlosen Rechtsmittels ebenfalls eine Erhöhung des Schmerzensgeldes rechtfertigt. Vor dem Hintergrund der oben dargelegten Bemessungskriterien erscheint es zunächst fragwürdig, wie diese Erhöhung damit in Einklang zu bringen ist. Die Gerichte begründen dies aber zu Recht mit der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes. Außerdem führt die Ungewissheit der Regulierung zu einer zusätzlichen psychischen Belastung, die ihrerseits entschädigungswürdig ist. Darüber hinaus haben einzelne Gerichte auch eine strafende (pönale) Komponente geschaffen und zielen erhöhten Schmerzensgeldbeträge folglich auch auf eine generalpräventive Wirkung ab. Das erscheint gerechtfertigt. Zum einen hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, klare Bemessungskriterien für die Schmerzensgeldhöhe in das Gesetz mit aufzunehmen. Wenn er dies bewusst den Gerichten überlässt, muss es diesen dann jedoch gestattet sein, neue Kriterienkataloge zu erstellen. Auch gegenüber dem Schädiger ist dies nicht unzumutbar. Zwar hat dieser keinen Einfluss auf das Regulierungsverhalten seines Haftpflichtversicherers. Er muss sich aufgrund der vertraglichen Bindung aber dessen (Fehl-) Verhalten zurechnen lassen. Sollte dem Schädiger ausnahmsweise aufgrund eines verzögerungsbedingt erhöhten Schmerzensgeldes ein eigener Schaden entstehen, ist sogar ein Rückgriff des Schädigers gegen seinen Versicherer denkbar.
4. Fazit Die Erhöhung des Schmerzensgeldes wegen verzögerter Regulierung ist heute in der Rechtsprechung anerkannt. Die Gerichte sind dazu übergegangen, die Schmerzensgeldbeträge um bis zu 20 % zu erhöhen. Für den Geschädigten und dessen Anwalt ist es deshalb wichtig, die häufig anzutreffende Verzögerungs- und Verschleppungstaktiken der Versicherer vor Gericht darzulegen und offensiv darauf zu drängen, dass diese Umstände in die Bemessung des Schmerzensgeldes mit einfließen.
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(20 Stimmen) AutorRechtsanwalt Dr. Alexander T. Schäfer - Frankfurt am Main
Fachanwalt für Medizinrecht
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