Plädoyer für einen besseren Schutz der Patienten: 10 Forderungen zur Reform der Haftung bei Behandlungsfehlern

Dr. Alexander T. Schäfer präsentiert 10 Forderungen zur Stärkung der Patientenrechte. Viele seiner Vorschläge haben Eingang in die aktuellen politischen Diskussionen um eine Stärkung der Rechte von Patienten und Medizingeschädigten gefunden.

Patienten, die durch einen ärztlichen Behandlungsfehler geschädigt werden, haben fast immer mit
schier unüberwindbaren Hürden bei der erfolgreichen Geltendmachung ihrer Forderungen zu
kämpfen. Oftmals führt dies dazu, dass der Patient nach jahrelangem Kampf zusätzlich auch durch
die psychische Belastung der Auseinandersetzungen mit dem Haftpflichtversicherer geschädigt ist.
Der allgemeine Grundsatz, dass die Voraussetzungen eines (Schadensersatz-) Anspruchs von
Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen sind, wirkt sich im Arzthaftungsrecht besonders
nachteilig aus. Der Patient ist in aller Regel nicht nur medizinischer Laie. Den schädigenden Vorgang
bekommt er – anders als bei Unfällen – häufig auch gar nicht mit (etwa bei Operationen unter
Anästhesie oder bei mangelnder Diagnostik).
Nachfolgend werden zehn Forderungen zur Reform des Patientenschutzes aufgestellt. Diese dienen
dazu, den Patienten auf gleiche Augenhöhe mit den Ärzten und ihren Haftpflichtversicherern zu
stellen. Weiteres Ziel ist es, dadurch vorbeugend auf die Vermeidung von Behandlungsfehlern
hinzuwirken.
1. „Einführung einer Gefährdungshaftung“
Im Falle eines geschädigten Patienten muss eine gesetzliche Gefährdungshaftung greifen. Für die
erfolgreiche Schadensersatzforderung muss es genügen, wenn der Patient als Folge oder während
einer medizinischen Behandlung geschädigt wurde. Es muss ausreichen, wenn der Patient darlegt,
dass die Heilbehandlung geeignet war, den eingetretenen Schaden hervorzurufen. Als Folge wird
dann die Ursächlichkeit des ärztlichen Handelns für den Schaden vermutet. Es obliegt nunmehr dem
Arzt, das Gegenteil zu beweisen.
Diese Änderungen führen nicht zu einer unbilligen Benachteiligung des Arztes. Sie gleichen vielmehr
nur diejenigen Nachteile aus, die die Patienten üblicherweise treffen. So bemerkt der Patient das
schädigende Ereignis oftmals nicht und ist dem Arzt gegenüber in fachlicher Hinsicht fast immer
unterlegen. Der Grund für die ärztliche Behandlung liegt zudem meistens in einer Vorerkrankung. Für
den Patienten ist es deshalb mit besonderen Schwierigkeiten verbunden und häufig auch gar nicht
möglich, den durch den Arzt verursachten Schaden genau abzugrenzen.
Die Gemeinschaft der Versicherten würde auch nicht unmäßig belastet. Denn viele der Folgen von
Behandlungsfehlern – medizinische Nachbehandlungen, Pflege und Betreuung,
behindertengerechter Wohnungsumbau, Verdienstausfall, Zahlungen aus Unfall- und
Berufsunfähigkeitsversicherungen – müssen sowieso erbracht werden und belasten die
Allgemeinheit und die Versichertengemeinschaft folglich auch so. Es ist deshalb nur gerecht, wenn
Ärzte und deren Haftpflichtversicherer stärker in die Pflicht genommen werden. Denn schließlich
entspringen die Behandlungsfehler immerhin ihrem Einflussbereich. Außerdem entsteht so ein
stärkerer Anreiz, Standards in der Medizin zu verbessern und damit Schäden zu vermeiden. Letztlich
gibt es eine Gefährdungshaftung auch in anderen Bereichen, etwa der Produkthaftung, ohne dass
dadurch gravierende Nachteil für die Ersatzverpflichteten bestehen.
2. „Die Aufklärung ist immer durch ein vom Patienten zu unterzeichnendes Formular zu
dokumentieren“
Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten vor einem Eingriff über die Risiken aufzuklären. Bei Streit über
die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufklärung muss der Arzt diese beweisen. Leider reicht es
dafür vor Gericht oftmals aus, wenn der Arzt „plausibel und glaubhaft“ schildert, dass er den
Patienten aufgeklärt und dieser dem Eingriff zugestimmt hat. Diese Anhörung öffnet dem Missbrauch
Tür und Tor. Dem Arzt wird häufig allein deshalb mehr Glauben geschenkt, da er sich sprachlich
gewählter und sachlicher auszudrücken vermag, als der durch den Schaden emotional stark bewegte
Patient.
Deshalb muss der Arzt verpflichtet werden, die Aufklärung immer auch schriftlich zu dokumentieren
und durch den Patienten unterzeichnen zu lassen. Nur wenn dies aus besonderen Gründen nicht
möglich oder angezeigt ist – etwa bei Notfallbehandlungen oder kleinen Routineeingriffe mit
geringem Schadensrisiko – sollte darauf verzichtet werden dürfen.
Fehlende, unzureichende oder nachträglich ergänzte Aufklärungsbögen müssen eine Vermutung für
die Fehlerhaftigkeit der Aufklärung begründen, die der Arzt nur unter besonderen Voraussetzungen
widerlegen kann. Die bloße Anhörung seiner Person darf dafür nicht ausreichend sein.
3. „Ärzte müssen verpflichtet werden, ihre Patienten auf mögliche, auch eigene Behandlungsfehler
hinzuweisen“
Häufig ist es nur der Zufall, der einen Patienten Kenntnis über eine fehlerhafte Behandlung
verschafft. Dies führt nicht nur zu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der
Schadensersatzansprüche – Beweise, wie Zeugenaussagen, werden mit der Zeit immer
unzuverlässiger – sondern auch zu weiteren Folgeschäden, da es für mögliche Korrekturmaßnahmen
dann oftmals zu spät ist. Ärzte müssen deshalb verpflichtet werden, von sich aus auf eigene oder
fremde Fehler hinzuweisen, wenn sie solche erkennen oder vermuten.
Hierbei handelt es sich nicht um eine übermäßige Belastung der Mediziner. Denn auch andere
Berufsgruppen – etwa Rechtsanwälte – sind mitunter verpflichtet, ungefragt auf eigene Fehler
hinzuweisen. Der Arzt ist zudem durch seine Haftpflichtversicherung vor eigenem, wirtschaftlichem
Schaden geschützt.
4. „Zentrale Erfassung aller Fehler in einer zugänglichen Datenbank“
Behandlungsfehler müssen verpflichtend – vergleichbar der Meldepflicht bei Schäden durch
Arzneimittel und Medizinprodukten – anonym erfasst werden. Die bisherigen vereinzelten,
freiwilligen Register reichen dazu nicht aus. Für Haftpflichtversicherer, Ärztekammern und Gerichte
muss eine Meldepflicht bestehen. Ärzte und Patienten sollen zusätzlich auch solche Fälle melden
können, die nicht erkannt wurden oder bei denen auf die Geltendmachung von Schadensersatz
verzichtet wurde.
Das Register muss neben der Art des Fehlers auch die Folgen und die Beurteilung durch die
Sachverständigen und Gerichte beinhalten, damit solche Entscheidungen vergleichbar werden und
sich Standards herausbilden können. Die Datenbank muss zudem für jedermann frei zugänglich sein.
5. „Umgestaltung der Verfahren vor den Schlichtungs- und Gütestelle der Ärztekammern“
Die Beteiligung der Patienten am Verfahren vor den Schlichtungs- und Gütestellen der
Ärztekammern und Zahnärztekammern muss aufgewertet werden. Außer der Initiierung des
Verfahrens hat der Patient im Moment keinerlei Einflussmöglichkeiten auf den Fortgang. Zu fordern
ist, dass der Patient bereits bei der Abfassung seines Antrags durch die Güte- und Schlichtungsstellen
beraten wird und diesen auch vor Ort mündlich stellen kann. Der Gutachter muss ferner zu einer
persönlichen Untersuchung des Patienten verpflichtet werden. Der Patient muss die Möglichkeit
haben, an den Gutachter Ergänzungsfragen stellen zu können.
Letztlich muss das Verfahren bei allen Gutachter- und Schlichtungsstellen in Deutschland für den
Patienten kostenlos sein. Zur Finanzierung der Gutachter- und Schlichtungsstellen sollten sowohl die
Haftpflichtversicherer als auch die gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherer
herangezogen werden.
6. „Kürzere Bearbeitungszeiten“
Die Haftpflichtversicherer der Ärzte müssen gesetzlich verpflichtet werden, gegenüber begründeten
Vorwürfen innerhalb einer angemessenen Frist abschließend Stellung zu nehmen.
Aktuell benötigen die Versicherer meist deutlich länger als sechs Monate, bevor eine häufig nur sehr
knappe und ablehnende Stellungnahme abgegeben wird. Begründet wird dies meistens mit
Standard-Floskeln, wonach die „erforderlichen Rücksprachen“ noch nicht gehalten werden können.
Eine derart verzögerte Bearbeitung schadet aber dem Patienten zusätzlich. Er hat ein Anrecht darauf,
innerhalb einer angemessenen Frist Klarheit darüber zu erlangen, ob der Versicherer zahlen wird
oder ob er gezwungen ist, vor Gericht zu gehen.
Eine derartige Frist könnte drei Monate betragen. Dies entspricht der nach § 75 VwGO für Behörden
geltenden Frist zur Entscheidung über Widersprüche gegen behördliche Bescheide. Die Frist sollte
mit der Vorlage einer schriftlichen Darstellung des Patienten zum Behandlungsfehler beginnen und
nur in Ausnahmefällen verlängert werden können.
7. „Klagemöglichkeit gegen den Versicherer“
Wie auch im Straßenverkehrsrecht muss es möglich sein, direkt den Haftpflichtversicherer zu
verklagen. In der Praxis werden schon die außergerichtlichen Verhandlungen nur vom
Haftpflichtversicherer geführt. Der Arzt ist häufig nur noch ein „Zeuge im eigenen Verfahren“. Da
wirtschaftlich der Haftpflichtversicherer den Schaden zu tragen hat, ist die unmittelbare Klage gegen
ihn nur konsequent. Ärzte und Ärztekammern müssen zudem verpflichtet werden, den
Haftpflichtversicherer auf Verlangen des Patienten zu benennen.
8. „Besondere Arzthaftungskammern“
Für Verfahren über Arzthaftungsfälle müssen bei allen Landgerichten besondere
Arzthaftungskammern geschaffen werden. Diese müssen – vergleichbar den Kammern für
Handelssachen – nicht nur mit Berufsrichtern besetzt sein. Vielmehr sollte ihnen neben einem
Volljuristen, der den Vorsitz führt, je ein Vertreter aus der Ärzteschaft und für die Patientenseite
angehören.
Für die Bewertung von Arzthaftungsfragen ist eine besondere Sachkunde erforderlich. Diese wird nur
durch eine langjährige, spezialisierte Tätigkeit erlangt. Spezielle Arzthaftungskammern existieren
heute zumeist aber nur bei den in Großstädten gelegenen Landgerichten. Darüber hinaus sollten
diese Kammern aber nicht nur mit Berufsrichtern besetzt sein. Bei den Kammern für Handelssachen
hat es sich bewährt, auch ehrenamtliche Richter einzusetzen, die über eine besondere Kenntnis der
zu verhandelnden Materie verfügen. Dies gilt genauso für Arzthaftungsfragen. Denn oftmals bereiten
schon die Erfassung des Sachverhalts und die Kenntnisnahme der Patientenunterlagen den Juristen
große Probleme.
Ein Vertreter aus der Ärzteschaft als ehrenamtlicher Richter muss sich hier nicht zum Nachteil des
Patienten auswirken. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass in der Rolle des Richters auch ein Arzt
eine deutlich kritischere Haltung einnehmen wird, als es bei den Sachverständigen häufig der Fall ist.
9. „Begutachtung nur durch besonders qualifizierte Sachverständige“
Bei der Begutachtung ärztlichen Handelns fehlt es noch immer an qualitativ hochwertigen und
vergleichbaren Standards. Insbesondere im gerichtlichen Verfahren sind die Richter bei der Auswahl
der Sachverständigen meistens auf die Empfehlungen der Ärztekammern angewiesen. Häufig lässt
sich jedoch aufgrund falsch verstandener Kollegialität eine „Beißhemmung“ der Sachverständigen
feststellen, wenn es darum geht, klare Behandlungsfehler und Defizite bei der Patientenversorgung
offen zu benennen.
Ärzte, die als Sachverständige die Qualität des Handelns ihrer Kollegen beurteilen sollen, bedürfen
deshalb über die fachliche Eignung hinaus besonderer Qualifikationen. Diese bestehen in der
persönlichen Unabhängigkeit und erforderlichen Distanz zu den zu bewertenden Kollegen. Dies kann
durch eine entsprechende Weiterbildung, eine persönliche Verpflichtungserklärung und nicht zuletzt
auch durch eine entsprechend kommunizierte Akzeptanz kritischer Bewertungen innerhalb der
Ärzteschaft, erreicht werden. Hier sind vor allem auch die Ärztekammern gefragt, auf ein Umdenken
hinzuwirken.
Die Erstellung (gerichtlicher) Gutachten muss stärker standardisiert und verbindlichen Regeln
unterworfen werden. Zudem sollten gesetzliche Fristen für die Vorlage von Gutachten gelten.
10. „Höhere Schmerzensgelder“
Die in Deutschland generell für Behandlungsfehler zugesprochenen Schmerzensgelder sind in ihrer
Höhe meistens zu niedrig, zum Teil sogar beschämend gering. Dies hat zum einen offenbar mit einer,
nicht nachzuvollziehenden „Furcht“ der Gerichte vor dem Ausspruch hoher Schmerzensgelder zu tun.
Leider wird den Patienten viel zu häufig der Vorwurf einer Bereicherungsabsicht unterstellt. Zudem
wirkt sich die Lobbyarbeit der Versicherungsindustrie aus, die nicht müde wird zu betonen, wie sehr
die Versichertengemeinschaft durch hohe Schmerzensgeldzahlungen belastet werden würde. Dies
geht aber an der Realität vorbei, wenn man bedenkt, dass die Schmerzensgelder nur einen Teil der
gesamten Schadensersatzansprüche darstellen und die Schadensersatzleistungen insgesamt im
Verhältnis zu den gesamten Kosten des Gesundheitswesens nur einen äußert geringen Anteil
ausmachen.
Dringend erforderlich ist zudem die Vereinheitlichung der Schmerzensgeldzahlungen. Hier sind vor
allem die Gerichte gefordert, durch die Veröffentlichung von „Mustertabellen“ eine Angleichung
herbeizuführen. Wichtig ist aber, dass solche Tabellen nur Richtwerte darstellen und in begründeten
davon abgewichen werden kann.
Letztlich muss sich die Rechtsprechung dazu durchringen, auch für den Verlust des Lebens einen
Schmerzensgeldanspruch zuzusprechen. Nach unserer verfassungsrechtlichen Werteordnung ist die
Würde des Menschen unantastbar. Art. 2 GG schützt das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit an vorderster Stelle. § 823 BGB, der die wichtigste Grundlage für den
Schadensersatzanspruch darstellt, nennt das Leben als erstes Rechtsgut. Die herrschende
Rechtsprechung, die den Verlust des Lebens selbst nicht entschädigt, steht dazu in Widerspruch.
Denn auch hier muss sich die verfassungs- und einfachgesetzlich verankerte, hohe Wertschätzung
menschlichen Lebens wiederfinden. Der entschädigungslos hinzunehmende Tod ist damit nicht zu
vereinbaren. Dass man den Verlust des Lebens niemals angemessen in Geld beziffern kann und
insoweit jede Summe zu gering ist, spricht nicht dagegen. Es versteht sich von selbst, dass eine solche
Entschädigung immer nur einen symbolhaften Charakter haben kann.



Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht. Er vertritt geschädigte Patienten bei der
Geltendmachung von Schadensersatz gegenüber Ärzten und Haftpflichtversicherern.
Soweit vom Arzt oder dem ärztlichen Handeln gesprochen wird, sind immer auch der Zahnarzt und das
zahnärztliche Handeln gemeint. Ferner gelten die aufgestellten Thesen auch bei Fehlern sonstiger, in die
Heilbehandlung eingebundener Personen. Zur besseren Lesbarkeit sind alle Personen nur in der männlichen
Form benannt.

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