Bundesarbeitsgericht Urteil vom 15.12.2015 Az 9 AZR 52/15 (Bericht Rechtsanwalt Christian Wachtel)

Der Erholungsurlaub eines Arbeitnehmers bleibt über den Wortlaut der Vorschrift des § 17 Abs. 2 BEEG auch noch nach dem "nächsten Urlaubsjahr", in dem der Arbeitnehmer aus der Elternzeit zurückkehrt erhalten, wenn dieser nach der Elternzeit aufgrund einer dauerhaften Erkrankung daran gehindert war seinen Urlaub im Übertragungszeitraum des § 17 Abs. 2 BEEG in Anspruch zu nehmen.

Das Urteil des ArbG Essen vom 22.08.2014 (Az: 7 Ca 1286/14) und das hierauf ergangene Berufungsurteil des LAG Düsseldorf vom 26.11.2014 (Az: 12 Sa 982/14) haben nunmehr nach Zurückweisung der Revision durch das BAG (Urteil vom 15.12.2015 Az 9 AZR 52/15) bestand.

 


Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis im Januar 2014 beauftragte mich meine Mandantin mit der Einforderung von ausstehenden Urlaubsabgeltungsansprüchen bezogen auf die Urlaubsansprüche aus dem Kalenderjahr 2011. 


Diese Ansprüche konnten nunmehr rechtskräftig durchgesetzt werden.


Entgegen dem reinem Wortlaut des § 17 Abs.2 BEEG sind die aus 2011 stammenden Urlaubsansprüche nach dem Ende der Elternzeit im Dezember 2012 und der sich daran bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anschließenden Langzeiterkrankung, zu Anfang des Kalenderjahres 2014, noch nicht verfallen.    


Der Forderung meiner Mandantin lag folgender Sachverhalt zu Grunde:


Meine Mandantin war im Zeitraum 01.05.2008 bis einschließlich zum 08.01.2014 im Betrieb der Arbeitgeberin als Debitorenbuchhalterin beschäftigt. 


Im Zeitraum 21.02.2011 bis zum 07.04.2011 war sie zunächst arbeitsunfähig erkrankt und unterlag wegen ihres gesundheitlichen Zustands während der Schwangerschaft ab dem 08.04.2011 dem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz. Ab dem 28.10.2011 setzte nunmehr das 6-wöchige Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 2 Mutterschutzgesetz ein. An die sodann am 10.12.2011 stattfindende Geburt schloss sich bis zum 05.02.2012 das Beschäftigungsverbot des § 6 Mutterschutzgesetz an.


Hiernach beanspruchte meine Mandantin nahtlos ihre Elternzeit bis zum 10.12.2012. Danach war sie sodann durchgängig, bis zum Ausscheiden aus dem Unternehmen am 08.01.2014 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.


Es stellte sich nun aus Sicht meiner Mandantin die Frage, welche Urlaubsabgeltungsansprüche sie gegenüber der Arbeitgeberin nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch geltend machen kann.


Für die Kalenderjahre 2012 und 2013 rechnete die Arbeitgeberin ordnungsgemäß ab. Für das Kalenderjahr 2011 erfolgte jedoch keinerlei Auszahlung, da seitens der Arbeitgeberin die Auffassung vertreten wurde, dass der Urlaub aus dem Kalenderjahr 2011 nach § 17 Abs. 2 BEEG (lautet: "Hat der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin den ihm oder ihr zustehenden Urlaub vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten, hat der Arbeitgeber den Resturlaub nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren) nach Ablauf des Kalenderjahres 2013 verfallen sei.


Von hier aus wurde sodann, unter Verweisung auf die in den vergangenen Jahren ergangenen Entscheidungen des BAG (Urteil vom 07.08.2012, Az.: 9 AZR 353/10) und des EuGH (Urteil vom 20.01.2009, Az.: C 350/06 „Schultz-Hoff“) zu der Urlaubsübertragung im Falle einer Langzeiterkrankung, die Rechtsauffassung vertreten, dass meiner Mandantin aufgrund unionskonformer Auslegung des  § 17 Abs. 2 BEEG im Kalenderjahr 2014  nicht nur der unproblematisch übertragbare Urlaubsanspruch aus den Kalenderjahren 2012 und 2013 zustand, sondern auch noch der für das Kalenderjahr 2011.


Die diesseitige Argumention in den darauf geführten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Essen, Landesarbeitsgericht Düsseldorf und schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgte sodann wie folgt:


Grundsätzlich wird nach § 17 Abs. 2 BEEG  als Spezialvorschrift abweichend von § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz, der Urlaub nur auf das laufende oder das nächste Kalenderjahr, in welchem der Arbeitnehmer aus der Elternzeit zurückkehrt, übertragen. Dies gilt ach hiesiger Einschätzung jedoch ausnahmsweise nicht, wenn ein Arbeitnehmer den schon übertragenen Urlaub wegen längerfristiger Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte, sogenannte dauerhafte Arbeitsunfähigkeit.  


Nach der für die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern einschlägigen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20.01.2009, Az.: C 350/06 „Schultz-Hoff“) und der sich daran anschließenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 24.03.2009, Az.: 9 AZR 983/07, Urteil vom 07.08.2012, Az.: 9 AZR 353/10) wird der, wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch genommene Erholungsurlaub zumindest 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Urlaubsjahres übertragen. So soll nach Auffassung des BAG ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen verhindert werden (BAG, Urteil vom 07.08.2012, Az.: 9 AZR 353/10). In den vorgenannten, ausschließlich die isolierte Arbeitsunfähigkeit betreffenden Fällen, ging es um eine unionskonforme Auslegung des § 7 Abs.3 BUrlG.


Betrachtet man jedoch nunmehr vor diesem Hintergrund den Fall meiner Mandantin, welche erst unmittelbar nach Ablauf ihrer Elternzeit (2012) dauerhaft, bis einschließlich zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (2014), erkrankte, würde diese unreflektierte und starr am Wortlaut ausgerichtete  Anwendung des § 17 Abs.2 BEEG dazu führen, dass die vorgenannten vom EuGH und dem BAG zum Schutz von langzeiterkrankten Arbeitnehmern entwickelten Rechtsgrundsätze bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern / Eltern, welche zuvor Elternzeit in Anspruch genommen hatten überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen. Mit Ablauf des Kalenderjahres 2013 (des "nächsten" Urlaubsjahres nach dem Ende der Elternzeit im Sinne des § 17 Abs.2 BEEG) würden diese Urlaubsansprüche untergehen.


Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits mit Urteil vom 20.05.2008 (Az.: 9 AZR 219/07) zur Übertragung des Urlaubs im Falle der Inanspruchnahme zweier unmittelbar aufeinander folgenden Elternzeiten geklärt, dass der dem Arbeitnehmer zustehende Erholungsurlaub auch auf die Zeit nach einer zweiten Elternzeit übertragen wird. Zwar hat diese Entscheidung keine unmittelbare Aussage zu dem hier zu entscheidenden Fall getroffen, doch hat das Bundesarbeitsgericht insoweit zu erkennen gegeben, dass es nunmehr entgegen dem starren Wortlaut der (ehemaligen) Vorschrift des § 17 Abs.2 BerzGG vorwiegend auf eine verfassungs- und gemeinschaftskonforme Auslegung der Vorschrift setzt und insoweit zumindest Vorgaben gemacht nach welchen Kriterien eine solche Auslegung stattzufinden hat.


1.Vom Sinn und Zweck her betrachtet soll die Vorschrift des  § 17 Abs.2 BerzGG wie auch die heutige und deckungsgleiche Vorschrift des § 17 Abs.2 BEEG sicherstellen, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht zum Verfall des vorher bestehenden Erholungsurlaubs führt. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn man dem nach der Beendigung der Elternzeit dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer die Möglichkeit nehmen würde seinen vorher bestehenden Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Hierauf würde es jedoch faktisch hinauslaufen, denn eine sich an die Elternzeit unmittelbar anschließende Langzeiterkrankung die über das „nächste Jahr“ im Sinne des § 17 Abs.2 BEEG andauert, ist ein Umstand der nicht im Einflussbereich des Arbeitnehmers liegt und grundsätzlich zum Verfall seines Urlaubsanspruchs führen würde. Gerade dies kann nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein. Der beabsichtigte Zweck des Gesetzgebers kann daher nur durch eine unionskonforme Auslegung der Vorschrift des § 17 Abs.2 BEEG unter Zugrundelegung der o.g. Rechtsprechung erreicht werden, wenn für aus der Elternzeit zurückkehrende langzeiterkrankte Arbeitnehmer eine Ausweitung der Übertragung des Urlaubsanspruchs über das nächste Urlaubsjahr hinaus, auf zumindest 15 Monate nach Beendigung des „nächsten Urlaubsjahres“ im Sinne des § 17 Abs.2 BEEG zugebilligt wird.


2. Zudem würde eine anderweitige Auslegung des § 17 Abs.2 BEEG nicht den Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs.1 GG genügen. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, im Wesentlichen gleich gelagerte Fälle ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Eine solche Ungleichbehandlung liegt daher dann vor, wenn sich für die konkret zu betrachtende Differenzierung kein vernünftiger oder aus der Natur der Sache ergebender und einleuchtender Grund finden lässt. Als Prüfungsmaßstab ist dabei neben einer Willkürprüfung auch eine Verhältnismäßigkeitskontrolle durchzuführen. Arbeitsrechtliche Vorschriften welche zu einer Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern führen, sind dabei stets auf die Person bezogen, weshalb sich die Prüfung vor allem danach ausrichtet, ob der betreffende Arbeitnehmer die ihn benachteiligende Maßnahme vermeiden kann (BAG Urteil vom 20.05.2008 Az.: 9 AZR 219/07 m.w.N.).


Gegenüberzustellen sind hier langzeiterkrankte Arbeitnehmer, welche unmittelbar vor ihrer Erkrankung Elternzeit in Anspruch genommen haben einerseits und Arbeitnehmer welche ausschließlich im laufenden Arbeitsverhältnis unmittelbar nach Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit langzeiterkranken andererseits.


Für eine Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen ist kein vernünftiger, einleuchtender oder sich aus der Natur der Sache ergebender Grund ersichtlich.


Denn der Arbeitnehmer der unmittelbar nach Ende der Elternzeit dauerhaft erkrankt kann den Verfall seines Resturlaubs genauso wenig beeinflussen wie der unmittelbar nach Ausübung der Erwerbstätigkeit langzeiterkrankende Arbeitnehmer dies kann. Eine Langzeiterkrankung ist naturgemäß nicht voraussehbar. Aufzugreifen ist hier in diesem Zusammenhang daher nochmals die Entscheidung des BAG (Urteil vom 20.05.2008 Az.: 9 AZR 219/07) welche eine Übertragung des vor einer ersten Elternzeit bestehenden Erholungsurlaubs auf die Zeit nach Ende einer zweiten sich unmittelbar anschließenden Elternzeit bestätigt hat. Denn gerade im Falle zweier sich überschneidender Elternzeiten verbleibt dem Arbeitnehmer zumindest ein Rest an  autonomer Entscheidungsmöglichkeit über seinen Urlaub zu disponieren, während dies im Falle einer sich unmittelbar an die erste Elternzeit anschließenden Krankheit dies nicht der Fall ist. Im Rahmen eines „Erst Recht Schlusses“ muss man daher hier zu dem Ergebnis gelangen, dass gerade der nach der Elternzeit langzeiterkrankende Arbeitnehmer noch schutzwürdiger ist als ein Arbeitnehmer welcher zwei aufeinanderfolgende Elternzeiten in Anspruch nimmt.      


Gerade auch die vom BAG (Urteil vom 07.08.2012, Az.: 9 AZR 353/10) anvisierte Vermeidung des „unbegrenzten Ansammelns“ von Urlaubsansprüchen stellt keinen sachlichen Grund zur Differenzierung dar. Denn im Falle der Inanspruchnahme der Elternzeit wird durch § 17 Abs.1 BEEG ein solches unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen bereits verhindert, da der Arbeitgeber je Monat der Inanspruchnahme von Elternzeit berechtigt ist, den Urlaub um 1/12 zu kürzen. Es geht daher grundsätzlich immer nur um den Urlaubsanspruch welcher bereits vor Inanspruchnahme der Elternzeit schon bestand.  


 


Das Arbeitsgericht Essen (ArbG Essen, Urteil vom 22.08.2014, Az: 7 Ca 1286/14) teilte diese Rechtsauffassungm Ergebnis und gab der Klage meiner Mandantin , wenn auch mit noch weiteren, ergänzenden Argumenten, statt. Die hierauf eingelegte Berufung der Arbeitgeberin wurde durch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.11.2014 Az: 12 Sa 982/14) mit entsprechender Argumentation zurückgewiesen. Nach durchgeführter mündlicher Verhandlung am 15.12.2015 teilte wohl nun auch das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsauffassung und wies auch die von der Arbeitgeberin eingelegte Revision zurück.


Die Begründung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts liegt hier bislang noch nicht vor.


Es bleibt nun abzuwarten welchen konkreten Übertragungszeitraum (15 Monate nach Ende der Elternzeit ? oder 15 Monate nach Ende des "nächsten" Jahres im Sinne des § 17 Abs.2 BEEG ? oder aber ob die Elternzeit bei einer Berechnung der 15- Monatsfrist einfach herauszurechnen ist? ) und welche Argumentation das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis zu Grunde legt.


 


 

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